Die fehlende Ladeinfrastruktur in Deutschland sehen vor allem E-Auto-Skeptiker als große Hürde für das Batterie-Fahrzeug. Dabei ist die Lage rein von den Zahlen her einigermaßen komfortabel. Probleme gibt es trotzdem.
Ein dichtes Netz möglichst günstiger Strom-Ladestationen gilt als eine der Voraussetzungen für die funktionierende E-Mobilität. An der reinen Steckdosen-Zahl mangelt es aktuell nicht. An anderer Stelle gibt es aber durchaus noch Nachholbedarf.
Als wichtigster Indikator für die Qualität der E-Auto-Infrastruktur hat sich die Zahl der Ladepunkte etabliert. Gerade hat die Bundesnetzagentur die neuesten Zahlen vorgelegt, nach denen zum 1. Januar in Deutschland 80.541 öffentliche Ladepunkte aktiv waren. Gegenüber dem Vorjahr entspricht das einem Plus von 35 Prozent.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wertet das als Erfolg: Nach aktuellem Ansatz der EU-Kommission ließen sich mit dem vorhandenen Ladeangebot heute schon rund 2,5 Millionen vollelektrische Pkw versorgen, kommentiert die Organisation, die unter anderem Energiekonzerne und Stadtwerke vertritt. Der aktuelle E-Auto-Bestand liegt bei knapp einer Million.
Geringes Tempo beim Ausbau
Weniger optimistisch wird die Lage von der Autoindustrie gesehen. Vor allem das als zu gering wahrgenommene Tempo stört die Branche: „Es braucht eine Versechsfachung der derzeitigen Geschwindigkeit beim Ladesäulen-Ausbau, um das Ziel des Koalitionsvertrages von einer Million Ladepunkte bis 2030 zu erreichen“, erklärte etwa VDA-Präsidentin Hildegard Müller noch im vergangenen Sommer.
Die nackte Zahl an Steckdosen sagt nach Ansicht des BDEW aber wenig aus. Die Ladesäulenbetreiber böten eine immer höhere Ladeleistung an. „So können deutlich mehr Fahrzeuge in gleicher Zeit versorgt werden. Damit wird deutlich, dass das reine Zählen von Ladepunkten nicht der Technologieentwicklung gerecht wird, sondern, dass die installierte Ladeleistung eine zentrale Bezugsgröße für die Bewertung des Ladeangebots ist“, so Verbandschefin Kerstin Andreae. In der Tat ist die installierte Leistung gegenüber dem Vorjahr um 40 Prozent von 1,74 GW auf 2,47 GW gestiegen – vor allem durch den forcierten Bau von Ultraschnellladestationen an Autobahnen.
Zu wenige Schnelllade-Stationen
Bei den Ladesäulenbetreibern gibt es einen ähnlichen Wandel weg von der Quantität zur Qualität. Auch wenn etwa Linda Boll, Deutschland-Managerin beim niederländischen Schnellladeanbieter Fastned, nicht ganz so optimistisch ist wie der Energieverband: „Es gibt genügend Ladesäulen in Deutschland, allerdings können zu wenige davon auch Schnellladen.“ Die Lücke zwischen Bedarf und Angebot an Schnellladepunkten werde zunehmend größer. „Mit Blick auf die Zukunft müssen wir dafür sorgen, dass dieses Problem mit steigender Zahl von E-Autos schnell angegangen wird.“ Probleme sieht sie dabei weniger beim Geld als vielmehr in Form komplexer Bürokratie. Die Anforderungen an Ladeparks seien teilweise von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich, was die Planung enorm verlangsamt.
Während man zumindest an den Hauptverkehrsadern und außerhalb der Rush-Hour mittlerweile meist problemlos einen freien und hinreichend schnellen Ladepunkt findet, ist der Ladevorgang häufig noch kein besonders angenehmes Erlebnis. Vor allem an Autobahnen sind die Säulen nicht selten in die dunklen Ecken gestopft, wo gerade noch Platz war. An Rasthöfen steht den Ladenden dann immerhin die typische Infrastruktur zur Verfügung, so dass sich das Warten mit einem Kaffee oder einem Gang zur sauberen Toilette verbinden lässt.
Weniger komfortabel geht es häufig auf unbewirtschafteten Flächen zu, etwa an Rastplätzen oder kleinen Ladeparks neben der Autobahn, die sich nicht selten auf Parkplätzen in Gewerbegebieten finden. Insgesamt sieht Boll hier großen Handlungsbedarf: „Man sollte ganzheitlich über die Gestaltung von Standorten für Schnellladesäulen nachdenken. Was brauchen die Kunden – vor allem im Hinblick auf Sicherheit? Das betrifft die Lage und Gestaltung der Ladestationen genauso wie die des Aufenthaltsbereichs.“
Mehr Komfort beim Laden
Auch der VDA will mehr Komfort und stellt dabei auch auf Komfortfunktionen wie das standardisierte Plug & Charge ab, das flächendeckend ausgerollt werden sollte. Die Technik nimmt dem E-Autofahrer das Freischalten der Ladesäule per Chipkarte oder App ab – der Strom fließt sofort nach dem Einstöpseln. Und auch die Abrechnung ist automatisiert.
Bislang beherrscht aber nur ein Teil der Fahrzeuge und der Ladesäulen diesen Trick. Zudem begrüßt der VDA das von der Bundesregierung in Aussicht gestellte europaweite Roaming: „Im Sinne der Verbraucherfreundlichkeit müssen Ladevorgänge auch im Urlaub und über die Landesgrenzen hinweg ohne Komplikationen möglich sein.“
Generell haben in der E-Auto-Community zuletzt eher die hohen Fahrstrompreise für Unmut gesorgt als eine mangelnde Verfügbarkeit von Lademöglichkeiten. Vor allem im vergangenen Jahr haben die meisten E-Mobilitätsprovider die Energiekrise für kräftige Aufschläge genutzt. Der Trend scheint gestoppt und sogar leicht rückläufig – trotzdem verharren die kWh-Kosten auf hohem Niveau. „Auch wir wurden 2022 von der Volatilität der Strompreise überrascht und mussten erstmals seit zehn Jahren die Ladetarife erhöhen“, so Boll. Für die Zukunft rechnet sie generell mit mehr Preisbewegungen an der Ladesäule.
Variable Netzentgelte sollen Stromverbrauch regeln
Flexiblere Stromtarife erwartet auch der schweizerische Ladetechnik-Spezialist Juice Technology. Und setzt dabei vor allem auf die Bundesnetzagentur, die ihre Ablehnung variabler Netzentgelte aktuell offenbar überdenkt. Bislang setzen die Netzhüter bei drohender Überlastung des Systems vor allem auf die sogenannte Spitzenglättung – das Abschalten oder Drosseln der Stromabgabe an öffentlichen Ladern und privaten Wallboxen. Variable Netzentgelte sollen im Gegensatz dazu den Stromverbrauch über den Preis regeln – das Aufladen von E-Autos zu verbrauchsarmen oder erzeugungsstarken Zeiten wäre dann günstiger als beispielsweise direkt nach Feierabend.
Juice-Chef Christoph Erni sieht die variablen Entgelte als Königsweg. „Wer bei starkem Andrang dringend Strom braucht, bezahlt einfach mehr. Wer dann Strom in sein E-Auto lädt, wenn sowieso zu viel davon im Netz ist – beispielsweise an einem sonnigen, windigen Tag über die Mittagszeit –, der profitiert von sehr günstigen Tarifen, während der Netzbetreiber den überflüssigen Strom nicht teuer irgendwo verheizen muss.
Bis auf weiteres dürften die Fahrstrompreise also ein Thema bleiben. Und auch das Ladesäulennetz hält zwar mit den aktuellen Anforderungen mit, muss aber weiterwachsen. Am besten in einer möglichst nutzerfreundlichen und komfortablen Ausprägung.
(Quelle: kfz-betrieb.vogel.de)