Nach dem Rückzug von Suzuki wird bei BMW ernsthaft über einen Einstieg in die MotoGP-WM nachgedacht. Denn die Dorna meldet das Interesse eines Werks – und es kann sich nur um BMW handeln.
Der Schock im Fahrerlager saß tief, als die Suzuki-Ecstar-Mannschaft am Abend nach dem Montag-Test in Jerez am 2. Mai um 18 Uhr verlautbarte, das Werk werde sich am Saisonende aus der MotoGP-WM zurückziehen. Dabei hatte die Suzuki Motor Corporation erst im November 2021 den endgültigen neuen Fünf-Jahres-Vertrag bei der Dorna unterschrieben. WM-Vermarkter Dorna Sports S.L. stellte wenig später klar, dass der japanische Hersteller nicht ohne Strafzahlung aus dem Vertrag aussteigen könne. Inzwischen haben der Suzuki-Vorstand und die Dorna-Anwälte in Madrid erste Gespräche zu diesem Thema geführt. Natürlich stellte sich unmittelbar nach der Rückzugs-Ankündigung von Suzuki die Frage, ob die Dorna die beiden Plätze neu vergeben oder das Startfeld wie in den Jahren von 2019, 2020 und 2021 bei elf Teams und 22 Fahrern belassen würde.
Statt Suzuki: Nur ein Werksteam kommt in Frage
Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta machte auch deutlich, dass die beiden kostbaren «MotoGP Slots» nicht an irgendein Kundenteam aus der Moto2 oder der Superbike-WM vergeben werden, sondern die beiden Plätze für einen Hersteller reserviert bleiben. «Wir haben unmittelbar nach den Neuigkeiten eine Menge Anfragen erhalten», ergänzte Ezpeleta. «Von Herstellern und privaten Teams.»
Um welche Hersteller könnte es sich handeln? Bei der Pierer Mobility AG wurde zwar mehrmals laut darüber nachgedacht, mit der Drittmarke GASGAS in die «premier class» einzusteigen. Aber für die nächsten ein bis zwei Jahre verfügen die Österreicher nicht über genug Kapazitäten. Zuerst muss die KTM RC16 konkurrenzfähiger werden, mit der bisher immerhin sechs MotoGP-Siege errungen worden sind.
Kawasaki hat eine MotoGP-Rückkehr in den letzten Jahren immer wieder definitiv abgelehnt. Bei MV Agusta wurde zwar im Herbst 2016 von der MotoGP-WM gefaselt, aber dieses Werk blamiert sich seit Jahren sogar in der Moto2 bis auf die Knochen. Aus der Superbike-WM hat sich das chronisch finanzschwache italienische Werk zurückgezogen.
Beim MotoGP-Interessenten kann es sich also nach menschlichem Ermessen nur um BMW Motorrad handeln. Die Bayern sind 2019 werkseitig wieder in die Superbike-WM zurückgekehrt, haben aber trotz gewaltigem Aufwand bisher keine Chance auf einen Titelgewinn. Das war vor dem Ausstieg 2012 anders, als Marco Melandri Vizeweltmeister wurde.
Nach Rückzug von Rossi & Suzuki: BMW höchst willkommen
Dr. Markus Schramm, seit Mai 2018 Geschäftsführer von BMW Motorrad, hat bisher eine MotoGP-Beteiligung der Weiß-Blauen strikt abgelehnt. Aber 2022 wird das 50-Jahr-Jubiläum der BMW M Gmbh gefeiert, wobei M für Motorsport steht, und die für den Autosport zuständige Rennabteilung stellt seit 1999 die Official Cars für die MotoGP-WM für die Dorna zur Verfügung. Das M in der Typenbezeichnung des neuen Superbikes BMW M1000RR, die inzwischen ein Verkaufsschlager wurde, steht aber offiziell für Motorrad, nicht für die BMW M GmbH. das Markenzeichen «M» soll helfen, ein sportliches Image zu gewährleisten.
Längst vorbei sind jedoch die Zeiten, als sich BMW Motorrad mit dem Boxer-Cup lächerlich machte, der auch im Rahmen der Motorrad-GP ausgetragen wurde und als der hinterwäldlerische BMW-Entwicklungschef vor ca. 20 Jahren ausposaunte, BMW werde nie ein Sportmotorrad wie die R1-Yamaha bauen.
Die Kontakte zwischen der Dorna und BMW sind nach dem Boxer-Cup (er fand zwischen 2001 und 2004 mit der müden R1100S statt) nie abgerissen. Bei der Dorna ist jedem Verantwortlichen bewusst: Nach dem Rücktritt von Superstar Valentino Rossi, der hartnäckigen Verletzungspause von Marc Márquez und dem Rückzug von Suzuki wäre ein Bekenntnis von BMW für die MotoGP das Beste, was dieser Meisterschaft passieren könnte.
Carmelo Ezpeleta räumte im Gespräch mit SPEEDWEEK.com ein, es bestehe die Möglichkeit, dass ein renommiertes Motorradwerk in den nächsten zwei, drei Jahren in die MotoGP-WM kommt. «Die Antwort ist ‘Ja’, bestätigte Ezpeleta. «Natürlich kann ich kein Fabrikat erwähnen. Aber wenn ein echter Hersteller sein Interesse an der MotoGP-Weltmeisterschaft zeigt und sich langfristig für die Teilnahme und die entsprechenden Investitionen entscheidet, sind wir jederzeit für Gespräche offen.»
Kawasaki-Teamchef Guim Roda zeigte Interesse
Kawasaki hat sich zwar nach dem Suzuki-Rückzug bei der Dorna gemeldet, aber nicht das japanische Werk, wie zu erfahren war, sondern das spanische Team von Guim Roda, der die Superbike-WM-Einsätze für die Grünen betreibt und mit Johnny Rea 2020 den sechsten SBK-Titel in Serie gewonnen hat. Roda hätte sich also als Kundenteam mit einem existierenden MotoGP-Hersteller verbünden wollen. Aber die Dorna will keine Teams, sondern Hersteller als Partner für die zwei verfügbaren Plätze. Es begreift also ein Blinder mit den Stock, dass es sich beim interessierten Werk nur um BMW handeln kann.
Wenn Dr. Schramm einer MotoGP-Beteiligung von BMW Motorrad bisher nichts abgewinnen konnte, so muss das noch kein definitives Nein bedeuten. Denn ein ehemaliger BMW-Spitzenmanager erklärte vor wenigen Tagen auf Nachfrage von SPEEDWEEK.com: «Bei BMW Motorrad und in der BMW AG wird immer über MotoGP nachgedacht. Aber es hängt davon ab, wer die letzte Entscheidung herbeiführt. Karlheinz Kalbfell und Dr. Herbert Diess wollten einsteigen, Hendrik von Kuenheim auch. Aber sie sind vom Vorstand der BMW AG gebremst worden, also von den Automobil-Managern.» Und weiter: «Die Einschätzung der allgemeinen Gemengelage wird unterschiedlich gesehen und beurteilt. Dr. Schramm will bestimmt auch in die MotoGP. Ob er damit Erfolg hat, wird sich zeigen.»
Übrigens: Bei Oral Engineering in Italien wurde schon vor 20 Jahren eine 990-ccm-Dreizylinder-MotoGP-BMW gebaut und von Luca Cadalora mehrmals getestet. Dann kündigte BMW-Chef Dr. Diess per Handschlag gegenüber Carmelo Ezpeleta den Einstieg für die neue 800-ccm-Ära 2007 an, aber der Vorstand gab kein grünes Licht. Rechtzeitig vor der neuen 1000-ccm-Ära 2012 prüfte BMW-Motorradchef Hendrik von Kuenheim, ob der Vorstand ein Budget für MotoGP freigeben würde. Die Pläne verliefen im Sand.
Danach rüstete Rennleiter Berthold Hauser für Herbst 2012 und 2013 das IodaRacing-Team mit den Superbike-Motoren der BMW S1000RR aus. Die Schweizer Engineering-Firma von Eskil Suter in Turbenthal baute die Rolling Chassis dazu, als Fahrer kam Danilo Petrucci zum Einsatz. Doch die Hoffnung von IodaRacing-Chef Giampiero Sacchi, er bilde die Vorhut für einen MotoGP-Werkseinsatz aus Bayern, haben sich nie erfüllt.
Bernhard Gobmeier, bis Dezember 2012 Motorsport-Direktor bei BMW-Motorrad, wollte in seiner Amtszeit zuerst einmal eine 250-ccm-Moto3-Rennmaschine bauen und dann in die MotoGP-Klasse einsteigen. Aber seine Pläne wurden vom Vorstand nicht abgesegnet.
In der Superbike-WM hat BMW seit 2009 nur 13 WM-Laufsiege errungen, neun mit Marco Melandri, drei mit Chaz Davies, einen mit Michael van der Mark. Wegen der Einheits-ECU und der Einheitsreifen wäre der finanzielle Aufwand in der MotoGP deutlich geringer als vor 15 Jahren. Ein Budget von 15 bis 20 Millionen Euro im Jahr würden reichen. Das gibt BMW heute für die SBK und EWC auch aus, aber der «return of investment» ist in der Königsklasse um ein Vielfaches höher.
Die BMW M Gmbh liefert der Dorna seit 1999 die Official Cars für die Weltmeisterschaft. Franciscus van Meel, CEO der BMW M GmbH, übergibt gemeinsam mit Carmelo Ezpeleta jedes Jahr dem Sieger des «BMW MotoGP Best Qualifier Award» einen Sportwagen. 2020 und 2021 gewann ihn Fabio Quartararo.
Die BMW M GmbH ist die erfolgreiche BMW Motorsportabteilung (sie gewann mit Nelson Piquet und Brabham 1983 die Formel-1-WM mit einem 1400 PS starken Turbomotor). In der BMW M GmbH finden sich inzwischen einige Befürworter eines MotoGP-Engagements. Aber die Entscheidungsprozesse bei BMW waren in der Vergangenheit meist langwierig.
Der CEO-Posten bei BMW Motorrad sollte für Manager wie Dr. Diess, von Kuenheim und Schaller nur eine Zwischenstation zu Topjobs sein. Deshalb hüteten sie sich vor unpopulären Entscheidungen und optimierten oft lieber lieber die Gewinne. Finanziell könnte BMW Motorrad die MotoGP-WM als zweitgrößter Motorradhersteller in Europa jederzeit stemmen. BMW Motorrad hat das Jahr 2021 trotz großer Herausforderungen mit einem Rekordabsatz abgeschlossen. Mit 194.261 Einheiten (+14,8 %) bildete 2021 somit das beste Jahr seit Bestehen von BMW Motorrad (2020: 169.272). «Die BMW M GmbH hat uns seit Beginn der Partnerschaft 1999 immer wieder mit Highlights begeistert», stellte Carmelo Ezpeleta 2021 beim Valencia-GP fest. «Die BMW M GmbH bringt in unserer Zusammenarbeit ihre Leidenschaft für den Motorsport deutlich zum Ausdruck.»
Jetzt hofft nicht nur die Dorna, dass neben den Official Cars womöglich schon 2024 auch deutsche MotoGP-Rennmaschinen um die GP-Rennstrecken flitzen.
(Quelle: speedweek.com | Günther Wiesinger)